Literatur
stockholm — bummel
wind.- schwarzes wasser, boote und kutter am quai. das verlassene zweckmäßige mit den über- und unterführungen angelegte rondell slussens.
sprühregen.- leere. drottinggatan.- pfützen nahe des bordsteins. rote, blaue und grüne ölige rinnsale.- die zitternde neonschrift die über aufgeweichtes papier huscht. die blanken eisenkörper der orfeusgruppe im plätschrendem wasser des brunnens.
boheme-typen im cafe von gamla stan, schmal und dunkel und abgebröckelt, verwaschen.-
eine häuserwand, auf der rückseite blaugraue backsteinmuster — zurückgebliebene zeichen eines verschwundenen nachbarn. holzstege zwischen hohen häuserschluchten im trüben laternenlicht. zwei diskutierende männer mit einkaufstaschen. eine straßenkreuzung — stureplan, ein weiter platz in den frühen abend lauschend.
stehende, sitzende, gehende menschen. das blaue T im weißen rund der u‑bahn-ampel. (tunnelbana) eisengestänge matt glänzend. schlagzeilen am himmel. tagesnachrichten, neonschrift an einer hochhausfassade. hötorget mit konzerthuset, säulengang mit breiter treppe, auf der in der mittagssonne studenten dösen. zugwind in der unterirdischen ladenstraße von hötorget. jugend, zigaretten rauchend, allein und in gruppen. lärmende und stille. betrunkene auf bänken eingeduselt. zurückkehrende vom stadtbummel. weiße, müde gesichter, gelangweilt, unbefriedigt. zerknitterte tanzfähnchen. medborgarplatsen.- icestadion, enskede gard.-
die verschwindenden schlußlichter der u‑bahn, ein perron und die müde kassiererin. wind, bäume, die sich im sprühregen schütteln. die birkenallee mit rotbraunen holzhäusern und einigen laternen.
Spurensuche
ich fische
in den spiegelungen
der wegpfützen
ein sammler der winde
der aus der tauben stube
unter der zwecklosen pilgerschaft
der wolken
und in der stille
unbestellter felder
träumt
ein grüner schimmer
liegt
auf ziselierten flächen
grüne algen werden wie
haare
ertrunkener
durch die stille strömung
gekämmt
über gestürzte bäume
die himmelsleere
der spurlose gang
der sterne.
Ohne Titel
Vielleicht
ist dies der
ganze
Sinn,
daß selbst die
Tragik
nicht von
Dauer ist,
daß früher oder später
alles
vergessen wird.
Das Grab
wird vom Gras
überwachsen,
der eingemeißelte
Name
verwischt.
Fotografien
vergilben.
Der Whiskey
schmeckt
lau
und ist gelbbraun.
Die Zeit
vergißt all
unsere früheren
Wünsche
und der Regen
des nächsten
Jahres zerstört
die Spuren
einstiger
Leidenschaften.
Nacht Notizen
Es schneget
Schinderhannes
in Korbach.
Vorher
im Ratskeller
Chicago gespielt,
drei Runden.
Der einsame
Marktplatz
schlief im fallendem
Schnee.
Gelb-Rot-Grün
Gelb-Rot-Grün
Schinderhannes.
Heißer Beat + Soul.
Blonde, gefärbte, rote,
schwarze
Langbeinige.
Mittelmäßig.
Bier
auch mittelmäßig.
Bing Crosby singt
im Autoradio.
Im
AZ
war
Maruschka.
Vielleicht
ist dies der
ganze
Sinn,
daß selbst die
Tragik
nicht von
Dauer ist,
daß
früher oder später
alles
vergessen wird.
Das Grab
wird vom Gras
überwachsen,
der eingemeißelte
Name
verwischt.
Fotografien
vergilben.
Der Whiskey
schmeckt
lau
und ist gelbbraun.
Die Zeit
vergißt all
unsere früheren
Wünsche
und der Regen
des nächsten
Jahres zerstört
die Spuren
einstiger
Leidenschaften.
Margitt
Der Tag könnte so schön sein. Frisch geschnittenes Gras lebt und riecht. Nur, — die Sonne ist mit den müden, beschlagenen Augen eines kranken Menschen zu vergleichen. Sie hat wieder mal Angst bekommen, hell zu sein.
Die Vogelstimmen rufen vergeblich nach Sehnsucht. Sehnsucht, die nach warmen Beinen und blanken Augen Hunger hat.
Eine Hand sagt, „Du, ich bin hier!“. Es ist halb acht und der Mond verführt noch nicht dazu, gen Gießen zu schauen.
Ich schaue in die Leere.
Vier Aquarelle warten auf das Trocknen. Meine Realität lebt im Untergrund und sagt, „Das Licht brennt für einen Anderen im Raum“. Die Couch knarrt unter fremden Bewegungen. Bilder, meine Gedichte an den Wänden sind nur Reste einer Vergangenheit. Eine Stimme ist tot geworden. Auch ein Tapetenstreifen sagt nicht mehr „der Dritte von links“.
Kein Glas hat mehr Bonbon für mich, keine Tasse hinterläßt Spuren des Dagewesenseins. Die Umwelt ist Herrscher geworden. Sie formt Herzen zu Omnibussen, die anderwärts hinfahren. Die „weißen Stellen“ werden von fremden Händen erobert. Kniee berühren andere Hosenbeine. Niemand zieht sich mehr um, zwischen aufgeschlagenen Schranktüren. Gewaschene Haare riechen nicht für mich auf dem Kopfkissen. Auch „Schrämmchen“ am Knie rühren nichts mehr auf. Sie steigt nicht mehr über mich hinweg, um das Fenster zu schließen, uns einzuschließen. –
Man wartet.
Nach zweiundzwanzig Jahren ruft sie mich aus München an. Ich mußte lachen.
Ingabritta
T‑Centralen und die rotbraunen, sandigen Säulen des Haupteinganges im Rücken.
Der Wind trieb Mövenschreie vom Hafen herrüber. Djurgarden. Fähre, heiseres Husten aus
rostigen Schornsteinen.
Finnlanddampfer, Resebyra, Nilström und Co. Kungsgatan mit Bal Palais und Zanzibar und
Ingabritta.
Ingabritta mit Regenschirm und graugrünen Augen. (Samtaugen)
Hoch ins Pagod mit dem Fahrstuhl. Stockwerke mit Schwindelgefühl im Magen.
Kaffee-Duft, Fiskmoses an den Fenstern außen flatternd mit Bernsteinschnäbeln.
„Zwei Stücke Zucker für die Tasse“ und banale Konversation.
Tops-Haga-Linoleum. AB Svenska, und Nieselregen.
Schaufensterbummel. Dicht neben mir,
Ingabritta.
Die letzten Minuten. Ihre Augen, groß, dunkel und fragend.
Wonach?
Auf T‑Centralen ein Zögern. „Vielleicht? Ja! Ich weiß nicht?“
Der blaue Regenmantel leuchtete, verschwand.
Ich dachte an sie.
Helgoland ganz anders
man war versucht drüben auf der düne, jeden augenblick eine straßenbahn unter einer verlassenen lampe anhalten zu sehen, aber da waren nur strandhafer und der wind, und das war gut so, das boot wartete schon zum übersetzen zur insel drüben, die vielen lichter tanzten, flimmerten in den sich teilenden wellen, verloren sich weit drausßen an der außenmole. vorher noch hastig „sie wollen schon gehen?“ (in blauen langen hosen) – „ außerdem sind sie ja verheiratet!“ – „und etwas zu groß für mich“, — „aber das macht doch nichts“ – und nun sah ich zurück, sah die düne hinter mir in gischt verlöschen, tage, stunden, meer, himmel und wind. ich dachte blödsinnigerweise an comic-strips, (etwa: m‑may-be he became ill and couldnt´t leave the studio, roy lichtenstein). am ende der mole sah ich den möven zu. mein gesicht war salzig von der gischt, die hin und wieder über die betonmauer flog.etwa 1000 bomber, die 16000 zentner auf dieses eiland abluden, auf dem oberland, zwischen gepeitschten windzerzausten gräsern ein hinweisschild (warum nicht noch eintrittsgeld?) hier wurde 1945 eine 500 zentner schwere bombe abgeworfen. von der radarstation wehte zerfetzte beatmusik herüber aus einem olivgrünen bundeswehrkarren.
soldatenmädchen hieß das buch, hatte es mir gekauft, ohne hinzusehen, und alles paßte nicht so recht hierher auf die insel. dafür erwarb ich am nächsten tag „den helgoländer“ und las über pfeifentim zwitschercharly und einen gewissen hebbel oder ähnlich. störtebecker, die robbe, bubi-bar, hummerkorb, blinkfür, und alles drehte sich um den siemensplatz, wo alles endete, weil dort die post war und ich immer karten einwarf.
am liebsten hätte ich geschrieben: an außenmole, oder an haselnußaugen in friesenhausen, ob man mal nach friesland fährt, mir fielen karteikästen ein. einfach hingehen und karten ziehen, wie bei der lotterie (unerledigte sachen, versäumte dinge, was soll ich tun?) „zeitkarte für glück“.
etwa im andenkenladen mit der hübschen verkäuferin „ich möchte eine karte glück“ (vier stunden) sie würde lächeln, wie immer und mir eine glückwunschkarte verkaufen und „35 pfennig sagen. Im lift zum oberland roch es so schön nach nassen sachen und tabak, nach geangelten fischen in plastikbeuteln (gelb) und dann auf dem alten friedhof hier ruht (auf einem schlichten weißen stein) in gold natürlich, die unfähigkeit, die nichtexistenz – wie wär´s, wenn man sich eine hummerbude mietet und zwischen tauen und tanggeruch, verrosteten ankern und anderem gin trinkt und einschläft?
und dann kam brigitt, blond, groß und grünäugig. „schön hier nicht?“ „mmh“ – „sind sie auch allein?“ – „ja, ich kenne hier niemanden“ und später „also bis um sechs!“. sie brachte after eight mit, und ich fand es rührend. Immer führt ein weg irgendwohin, der auf der südmole führt mich zu katz und maus, und irgendwie ekelte ich mich vor mövenweiß.
acht schläge der kirchenturmuhr zitterten herrüber, und das gras bewegte sich leise, raunte und gab einen kleinen schwarm vögel frei.
Günthers Freundin
Günthers Freundin
wurde mit fünfzehn vergewaltigt.
Sie hatte frühe, sexuelle Kontakte.
Sie beobachtete elterlichen Koitus.
Ihr Opa – Säufer.
Seine Frau – gelähmt.
Er „Du Hure!“
Das aus der Ehe entsprungene Kind sieht
kröselhaft aus
und hat Mattscheibe.
Günthers Freundin macht alles mit
bis zum
Zahnbürstenspiel.
Die Tage entfliehen wie
kranke Schwalben.
Jetzt
gibt es Ute Neuhaus in der Herderstraße.
Es gibt Dieter mit Frau
und Friedrich, den Posaunenbläser
und Püppi.
Es gibt Kerstens Keller mit Collagewand.
Vor drei Tagen explodierte unser
Ölofen.
Diese Adelheidölfelder alle Jahre
das Jagdglas
die Lage
helle Diele
das Haff
die Klage
Heidehöfe
öde Höhe
eisige See
die Lage
die Alge Hilfeseide
Adelheid
die Öle falls es da lag
diese Aale
des Hasses
heilige Jacke
da lag es ja das Jagdglas
lol lol lol
Goldsoda
weil Wagewild
weil also Gold wohl Wahl
Kilo Wagewild Soda lose
Dose ewiglose
die Wahl
alles aus Wolle
was soll das ewige Lied
wieso es gefiel es da lag
es also diese Wolle
was sie wohl will?
diese Wege die Wahl des Wollkleides
die Wahl des Weges
wua Wege
die wilde Jagd
die Woge
will ja dir die Kilodose Öl
weil sie es so will
wage also dies Wege
juju juju juju
rufe die Julifrau
Uferfrau drei ihre Julirufe jura
aller darauf der dieser gar her
auf diese Weise
das war die Frage
das faule Ei raufe die Haare
rufe Julius her
wieder wurde er Sieger
diese Ölfelder alle Jahre
Die 7. Eiszeit oder: Ich will raus aus der Kiste
eine handvoll häuser hingeworfen in plattdeutschland — hart an der packeisgrenze, unter zumeist unterschiedlich farblich, blaßgrau betupftem wattebauchhimmel.- abgeschnitten wie aus einer reihe hängender, nackter bläulicher hühner, ohne bahnanschluß (auch sonst waren anschlüsse mangelware), ohne nächtlichen fernwehlokomotivenschrei. oder besser gesagt, wie es in der annonce stand: ein romantischer ort zwischen heide, marsch und geest, nahe dem künstlerdorf worpswede, dafür mit glatteis auf der stirn nachts im bett bei mutter schrage in nimmerendender nebelregenwintermatschnässe.- selbst die augen beschlugen matt, wie bei müden alten tauben im zuckelnden bus von bremen nach hagen bei ohrenbetäubender discoradioberieselung.
angekommen die obligatorisch beschmierten holzwartehäsuser — petra hüllen ist eine nutte, ulrike ist geil (die wird wohl auch immer geil bleiben?), ohlmeier diese pottsau.-
vorerst standen wir fröstelnd im regen (plattdeutscher dauerzustand) auf einem holprigen dorfplatz nahe der stets leeren kirche (der pfarrer ging später fort aus hagen, weil er so gerne einen hob, wie die leute sagten, ein anderer pastor wurde einen tag vor der konfirmation krank, so nahm die konfirmation ein hilfsprediger vor, der wenigstens keinerlei beziehung zu seinen schäflein hatte.) gegenüber dem hotel auf dem keller (geschlossen), welches später ständig den besitzer wechselte, und bei einem wirt mußten alle gästezimmer renoviert werden, weil er vergessen hatte, die heizkörper auf 1 zu stellen, bevor er verreiste, und folgedessen die heizkörperrohre platzten im frost. so hatten sie zumindest fließend wasser von allen wänden.- wir später auch in unserer zweiten herberge. so standen wir also und fragten einen radfahrerjungen, ob es hier denn noch ein hotel geben würde, wo man notfalls übernachten könnte? er schrie “m o i n” und radelte nervös weiter.-
das beste an plattdeutschland ist der knipp!
und die schönste jahreszeit besoffensein!
dann noch die drei großen M = müde-matt-marode!
M o i n!
Christina Söderbaum
Christina Söderbaum.
Berlin ist eine Beule wert!
Mein Vater: Du kriegst alle Klos kaputt,
zerbrichst Kämme
bringst Streichhölzer weg
und frißt Bleistifte!
Heute Mittag hätte ich einer Fliege
zupfeifen mögen, sie langweilte sich.
Ließ es aber sein, das Pfeifen, sah doch zu blöd
aus, oder?
Seit gestern ist jeder Kontakt zu Ute
Abgebrochen.
Weißt du, daß ich mir Sorgen mache um Dich?
Um vier Uhr ins Bett.
Täglich stangenweise Zigaretten.
Ich hätte jetzt übrigens nichts gegen eine
Entführung
einzuwenden, sagte sie.
Wer hat noch Angst vor Hiroshima?
Die Frau hat es satt, vom Mann nur als
Lustobjekt betrachtet zu werden?
Sie will nicht nur gevögelt werden,
sie will mitvögeln.
(pornophil.33. Rothaarig, Klein, Regine Deforges)
Brigitt
Wenn sie nur nicht erst siebzehn wäre. Sie erzählte von Diskotheken, von einem Freund, der
Sänger ist, von einem Kind, welches sie sich wegmachen ließ und von jungen Leuten, die sie
nicht mochte. Die konnten ihr nicht genug geben.
Ihre Augen waren immer noch grün und sehr weit. Sie hatte ihr blondes, langes Haar hinten
zusammengebunden und sah jetzt etwas älter aus.
Alles im Cafe Krebs. Unten, weit draußen, lag die See wie Öl.
Ich vermied es, all zu oft ihre langen, blonden Beine, die waren auch blond, in dem kurzen
Miniröckchen anzusehen.
Ich hätte sie gerne gestreichelt, oder ihr Haar berührt. Nur so – nichts sagen.
Beim Abschied fühlte ich ihre schmale, kleine Hand wie einen Vogel.
Ich schicke dir ein Foto! Ich hab´ noch gute zuhause.
Spaziergänge ohne Menschen sind schön.
Felsen, Wasser, Himmel, Lummen.
Fast nicht mehr wahrnehmbar, in einem Nebelstreifen, ein Fischerboot. Westklippen, Lange
Anna, Nordklippen, eine Bank, schon etwas kühl oben auf der Insel, zwischen vereinzelten
Mövenschreien. Drüben stieg ein silbernes Flugzeug auf, von der Düne, drehte eine Schleife und
verschwand bald.
Vor mir, auf dem Schreibtisch, liegen Steine und Muscheln und es kommt mir vor, als welkten
selbst die Steine hier.
Autobahnvogel
hilflos
genau in der Mitte
der Fahrbahn sitzend
Erschrecktes
Vibrieren
verwirrter Augen.
der große Vogel
mit blutenden
Federstümpfen.
verzweifelt
nach einer
Entkommenslücke
starrend.
Doch die
Blechlawine
rollte unaufhaltsam.
Keine zeit
für
Vögel.